Warum eigentlich Odoo? Interview mit Alexander Zehnter

Warum eigentlich Odoo?

Alexander Zehnter, Finanzexperte und ehemaliger kaufmännischer Leiter bei Severin Touristik, entwickelte sich in den letzten Jahren zu dem Odoo-Experten in Deutschland. Seine Expertise in Sachen Lean ERP mit Odoo ist mittlerweile sehr gefragt. Fragen gestellt haben auch wir von der ruhr.agency Alexander Zehnter. Was er für die größten Vorteile von Odoo hält, was man bei einer Implementierung von Odoo beachten sollte und auf welche Features in der neuen Version er sich am meisten freut, erzählte er uns in einem ausführlichen Interview.

Hallo Alexander, schön, dass du die Zeit gefunden hast. Vielleicht starten wir mit einer einfachen Frage: Was genau macht Odoo für Dich so attraktiv und spannend?

Alexander Zehnter: Zum einen kommt man einfach schnell rein in das Thema Odoo. Aus der geschäftlichen Perspektive war es bei uns die Frage, warum wir nicht einfach einen der Big Player wie SAP oder Microsoft nehmen. Da hat uns aber abgeschreckt, dass sie zum einen sehr komplex und zum anderen sehr teuer und nicht Open Source sind. Wir wollten sehr viel Wissen inhouse haben und auch halten. Zu guter Letzt war auch ausschlaggebend, dass wir eine Cloud-basierte Lösung haben wollten.

Das heißt, ihr habt euch das Wissen zu Odoo selbst angeeignet?

Ja, das mussten wir zwangsläufig. Unser Unternehmen bestand aus drei Gesellschaften, eine war der Reiseveranstalter mit Sitz in Deutschland, zwei davon saßen in Kenia und waren Hotels. Als wir uns für Odoo als ERP auch gegen den Widerstand einiger Skeptiker entschieden hatten, sollte ein lokaler Odoo-Partner die Implementierung vornehmen. Als dann aber der Projekt-Scope nach zwei Monaten überhaupt nicht eingehalten wurde, entschieden wir uns dafür, die Sache selbst anzugehen und in die eigenen Hände zu nehmen.

Und wie habt ihr euch das Wissen selbst angeeignet?

Wir haben uns ganz einfach Tutorials und Videos rausgesucht und sind die Sache angegangen. Wobei man sagen muss, dass man an bestimmten Punkten an seine Grenzen kommt, weil einem die Best Practices fehlen. Zum Beispiel, was Produktkategorien oder Unit of Measures angeht. An diesem Punkt haben wir gemerkt, dass wir doch Unterstützung von außen benötigen. Der Vorteil bei Odoo ist ja aber die große Community und die vielen Experten, die es gibt. Wir haben dann einen Freelancer engagiert und zusammen mit ihm die Umsetzung vorgenommen. Es war also eine Make or Buy Entscheidung und wir haben uns für Make entschieden. Natürlich haben wir dabei auch so ziemlich alle Fehler gemacht, die man machen kann, aber dadurch haben wir auch gelernt und deswegen teile ich ja jetzt mein Wissen auch so offen über LinkedIn, weil es sicherlich Leute gibt, die sich an demselben Punkt befinden und Hilfe brauchen.

Hast du während der Einführung verschiedene Rollen eingenommen oder was war konkret deine Rolle dabei?

Zunächst war ich der kaufmännische Leiter und damit für die Finanzen zuständig. Da die veraltete Software bei unseren kenianischen Hotels nur lokal lief und ich aber nur vier bis fünf Mal im Jahr vor Ort war, war klar, dass die neue Software Cloud-basiert sein musste und vor allem die Buchhaltung inkludieren musste. Ursprünglicher Auslöser war aber das Property Management für die Verwaltung der Zimmerkontingente. Odoo hat ein solches Feature nicht. Wir hatten allerdings bereits eine Cloud-Software dafür und mussten einen Weg finden, wie wir Odoo mit dieser Software kommunizieren lassen können. Andere Faktoren waren eine Software für POS und Lagermanagement. Hätten wir diese Use Cases jeweils mit einer eigenen Software abgedeckt, hätten wir im Monat 20.000 Euro für Lizenzen ausgegeben. Deshalb haben wir gesagt, dass 80 Prozent dieser Fälle wie POS, Lagerwirtschaft, Purchasing und Buchhaltung Odoo abdecken kann und wir mit Odoo das gleiche Geld für fünf Jahre bezahlen. Das hat den Unterschied gemacht.

Wie kommt es, dass ihr euch für Odoo entschieden habt?

Weil wir nicht für jeden einzelnen Bereich eine eigene Software nutzen wollten. Das ist zum einen wesentlich teurer und zum anderen besteht die Gefahr, dass die einzelnen Lösungen nicht miteinander kommunizieren können. Bei Odoo haben wir alles in einem und das aufeinander abgestimmt.

Was meinst du, wie Odoo euch in den nächsten fünf Jahren noch zugutekommen könnte, auch gerade hinsichtlich der neuen Version 17?

Durch die Änderung im Lizenzmodell können pro User jetzt beliebig viele Apps genutzt werden. Da sehe ich vor allem das Potenzial, auch die HR-App einzuführen und zu nutzen. Ein anderes großes Thema ist die Marketing-Automation. Was ich mir vorstellen kann, ist zudem eine App für die Wartung und Reparatur der Hotelanlagen.

Würdest du sagen, dass Odoo sehr flexibel ist, wenn es darum geht, die Anwendungen an die individuellen Bedürfnisse anzupassen?

Jein. (lacht) Grundsätzlich kann man das in Odoo alles machen. Odoo ist quasi wie ein Schweizer Taschenmesser. Wenn man allerdings viel hinzufügt, wird es immer komplexer und ein Upgrade auf eine neue Version immer schwieriger.

Und aus deiner ganz persönlichen Sicht – welchen Pain löst Odoo besonders in deinem Bereich?

Zu Anfang dachte ich, dass Buchhaltung bei Odoo das Coolste ist. Es gibt aber Quick Wins wie zum Beispiel den Barcode für die Lagerverwaltung. In Europa ist das bestimmt schon der Standard, aber für kenianische Verhältnisse war das einfach cool. Ein anderer Quick Win ist Odoo Documents. Aus vielen physisch vorhandenen Dokumenten mit einem Knopfdruck einzelne digitale Rechnungen zu machen, war eine unheimliche Erleichterung für die Leute vor Ort.

Was würdest du sagen sind die Vor- und Nachteile von Cloud bzw. On Premise?

Bei Odoo kann man prinzipiell wählen, ob man die Instanz in der Odoo-Cloud oder On Premise in der eigenen Cloud hosten will. Zu Anfang haben wir das Ganze über die Google-Cloud gehostet, was ich aber nicht empfehlen kann. Es benötigt sehr viel Rechenkapazitäten und ist dementsprechend teuer. Dann sind wir zu Odoo.SH gewechselt, was einfach auf Odoo zugeschnitten ist und es viel einfacher und günstiger gemacht hat.

Wie siehst du Odoo hinsichtlich mobiler Endgeräte?

Wir selbst haben die Barcode-App in Verbindung mit mobilen Endgeräten genutzt und das klappte echt gut. Grundsätzlich nutzten wir es aber hauptsächlich am PC.

Welche Integrationen sind deiner Meinung nach entscheidend für einen Wechsel hin zu Lean ERP in der Cloud?

Was den Marketplace bei Odoo betrifft, so ist das ehrlich gesagt ein kleiner Kritikpunkt. Es gibt einen Marketplace mit über 30.000 Apps, wobei da aber auch viel Mist dabei ist. Nutzer, die sich vom Marketplace viel erhoffen, werden schnell ernüchtert sein, da viele Apps nicht kompatibel mit der neuesten Version sind oder Bugs haben. Die großen und gängigen Apps funktionieren alle, aber der Großteil der Apps ist einfach nicht gut.

Welche Überlegungen sollte ein Unternehmen denn anstellen, wenn es sich entscheidet, zu Odoo zu wechseln und seine Daten zu migrieren?

Zwei Überlegungen gilt es anzustellen: Wenn Buchhaltungsdaten betroffen sind, dann ist auf jeden Fall der Zeitpunkt der Migration zu beachten, was zum Beispiel die Vorsteueranmeldung betrifft. Da die Buchhaltung immer mit zeitlichem Versatz arbeitet, muss zum anderen auch die Aktualität der Daten beachtet werden. Das heißt, man braucht immer einen buchhalterischen Abschluss, bevor man die Migration machen möchte.

Zum zweiten ist auch zu beachten, dass Odoo eigene Felder für zum Beispiel Produkte oder Kategorien hat. Hier muss man vorsichtig sein, wie man diese befüllt. Wir haben zum Beispiel viele Produkte zunächst falsch aufgesetzt und mussten sie anschließend wieder archivieren.

Was würdest du sagen, sind die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Einführung von Odoo?

Erstens muss das Top-Management davon überzeugt sein, dass die Prozesse nicht weiterhin so abgewickelt werden können und auch ineffizient sind. Der Need für ein ERP muss Top-Down klar erkennbar sein. Die Einführung eines ERP ist nicht einfach und immer mit viel Schweiß und Tränen verbunden und es wird nicht alles von Anfang so klappen, wie man es sich vorstellt. Dementsprechend müssen auch die Erwartungen gemanagt werden. Zweitens: So wenig wie möglich Customizing betreiben. Viele denken, dass ihre Branche und ihr Produkt so speziell sind, dass sie eine spezielle Branchenlösung brauchen. Das ist aber nicht so. Viele grundlegende Prozesse sind immer gleich. Daher sollte die Überlegung sein: Muss Odoo sich mir anpassen oder hat Odoo bereits Lösungen bzw. Prozesse out of the Box, die vielleicht schneller oder besser sind? Man sollte es also auch als Chance sehen, seine eigenen Prozesse zu hinterfragen.

Der dritte wichtige Erfolgsfaktor heißt: klein anfangen. Das Gute an Odoo ist ja, dass es modular aufgebaut ist. Also sollte man zunächst mit seinem größten Pain anfangen und dann sukzessive andere Bereiche abdecken. Wir haben zum Beispiel die Lagerverwaltung erst sechs Monate nach der Buchhaltung eingeführt.

Also erstens Management Buy in, zweitens kein Customizing und drittens modulare Herangehensweise.

Danke, Alexander. Es ist sehr interessant zu hören, dass der Punkt Customizing aus Kundensicht erstmal keine Rolle spielen sollte. Aus unserer Odoo-Partner-Sicht spielt die individuelle Anpassung natürlich schon eine wichtige Rolle.

Ja, das kann ich verstehen. Wenn der Kunde mit den Anpassungen happy ist und alles gut läuft, ist es natürlich richtig und wichtig. Ich kann mir aber vorstellen, dass Projekte dadurch oftmals in die Länge gezogen werden. Da ist es doch besser, einmal etwas schnell am Laufen zu haben. So kann man schon mal Rechnungen stellen oder das CRM nutzen. Das sorgt für eine größere Zufriedenheit beim Kunden. Die individuellen Anpassungen kann man dann ja immer noch vornehmen.

Wie gut würdest du sagen, kann Odoo skalieren und sich ändernden Anforderungen anpassen, ohne dass man immer wieder in eine große Phase des Aufbaus kommt?

Wie schon erwähnt, ist dieser modulare Aufbau von Odoo etwas, was es sehr skalierbar macht. Du kannst eben erst mal mit dem CRM anfangen und dann nach und nach Purchasing, Buchhaltung und andere Dinge hinzufügen.

Wie stehst du generell zu Datenanalysen und Berichtswesen? Findest du, dass Odoo ausreichende Möglichkeiten hat, damit das Management datengestützte Entscheidungen treffen kann? Wenn ja, was kannst du da konkret empfehlen?

Was ich gut finde, ist das Accounting-Dashboard von Odoo. Es gibt dir einen einfachen Überblick über Kontostände, Eingangs- und Ausgangsrechnungen und darüber, wie viele Rechnungen noch offen sind. Wie in anderen ERP-Systemen kannst du dir in Odoo eigene Dashboards über zum Beispiel den erwirtschafteten Umsatz, die Kundenanalyse oder Benchmarking-Möglichkeiten zusammenstellen. Es ist zwar ein weiter Weg bis zu all diesen Dashboards, aber es ist super, wenn du sie dann hast.

Aus unternehmerischer Sicht: Welchen Return on Investment können Unternehmen denn mit der Einführung von Odoo erwarten?

Das kann man natürlich nicht so pauschal sagen. Es kommt auch darauf an, wie gut die Implementierung läuft. Bei uns waren die von mir erwähnten Quick Wins wie der Barcode-Scanner ein echter ROI, mit denen wir etwa 80 bis 90 Prozent Effizienzsteigerungen erzielt haben. Für unsere deutsche Gesellschaft bedeutete Odoo, dass wir nur noch die Hälfte der Mitarbeiter im Vertrieb brauchten, die wiederum einen höheren Umsatz machten. Die ganzen Vertriebsprozesse von der Sales Order über Rechnungserstellung ging alles viel schneller und effizienter. Der gesamte Order-to-Cash-Prozess ging bestimmt um 50 Prozent schneller als vorher.

Hast du einen Unterschied in der Mitarbeitermotivation gemerkt, seitdem ihr Odoo eingeführt habt?

Ja, deutlich. Es muss natürlich vom Management vorgelebt werden. Bei einem so großen Wechsel in der täglichen Arbeit gibt es natürlich auch viel Widerstand. Da ist es ganz entscheidend, dass die Mitarbeiter schnell anfangen, mit der neuen Software zu arbeiten. Wenn sie dann sehen, dass es relativ einfach ist und mehr Umsatz bei weniger Aufwand dabei herauskommt, sind alle happy.

Inwiefern habt ihr den Support bzw. die Community von Odoo in Anspruch genommen?

Den Odoo-Support nutzten wir eher weniger. Ich im Speziellen nutzte die Community sehr viel. Die kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Auf welches Feature der neuen Version von Odoo freust du dich am meisten bzw. findest du am wichtigsten?

Was natürlich ganz cool ist, ist der neue Look von Odoo. Für Hotels ist das neue Feature im PoS wichtig, mit dem Bestellungseingänge für die Küche künftig auf einem Bildschirm angezeigt werden.

Alexander, vielen Dank, dass du dir die Zeit für unsere Fragen genommen hast.